Meine sehr geehrten Damen und Herren, vom Fest zum Event überschreiben wir vom
Interdisziplinären Zentrum Medien unsere Ringvorlesung und es ist keine Frage,
dass die Love Parade oder Theaterfestivals, Karneval oder antike Feste,
denen man seit Friedrich Nietzsche den Dionysischen oder auch Ecstatischen Charakter nachsagt,
in diese Reihe gehören. Aber ist ein Gottesdienst ein Fest? Geben Sie mir Gelegenheit heute vier
Skizzen zu zeichnen, die aus praktisch theologischer und publizistischer Sicht die
Begriffe Gottesdienst, Fest, Event und Medialität in eine nachdenkliche Beziehung bringen.
Skizze 1. Gottesdienst, ein Fest. Das praktisch theologische Nachdenken über den Gottesdienst,
das man in der Theologie als Liturgik oder Liturgiewissenschaften bezeichnet,
kann man in den vergangenen Jahrzehnten grob in zwei Linien zeichnen. Da gibt es die eine
Forschungslinie, die Liturgik historisch versteht und versucht den Gottesdienst aus seinen biblischen,
seinen kirchengeschichtlichen und dogmatischen Wurzeln und Begründungen zu fassen und den Ort
des Gottesdienstes in die christliche Lebens- und Glaubenspraxis einzuzeichnen. Diese Spur
könnte man als die traditionelle Liturgik bezeichnen, daneben aber hat sich eine andere
Spur etabliert, die sich mit dem Gottesdienst als einer performativen Handlung befasst. Der
Berliner Theologieprofessor Friedrich Schleyermacher, der die Theologie zu Beginn des
19. Jahrhunderts gelehrt hat, das Christentum als Religion zu betrachten und das religiöse
Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit des Menschen, das heißt aller Menschen zum Thema
seiner theologischen Reflexionen zu machen. Er hat als erster in seiner praktischen Theologie,
die er theoriefähig machte, den christlichen Gottesdienst als ein Fest bezeichnet. Zunächst
durch den relativen Gegensatz zum übrigen Leben und so dann durch das gemeinschaftliche Prinzip
und die geschichtlichen Ursachen, aus denen es hervorgeht. Nach Schleyermacher teilt der
christliche Gottesdienst diese beiden Elemente, Hervorhebung aus dem Alltag und Gemeinschaftlichkeit
mit anderen Volksfesten, wie er sagt, sofern sie sich wirklich lebendig erhalten. Der Festcharakter
eines Gottesdienstes macht sich für Schleyermacher an folgenden Kriterien fest. Das Fest entsteht
selbstklärend aus dem Gottesdienst. Es hat sinnliche Potenz. Es ist eine Versammlung von
Menschen, die fröhlich sein wollen und für alle Arten von Festen gilt, der Mensch will immer
sich selbst bewusst sein und das geschieht vor allem im Gottesdienst nach der Vorstellung
von Friedrich Schleyermacher. Das Selbstbewusstsein, sagt er, kommt jedoch nur vollständig zur
Darstellung, wenn das in einem religiösen Zusammenhang geschieht. Religion wird bei
einem Fest nicht erzeugt, sondern liegt ihr immer voraus, wobei die religiöse Ansprechbarkeit in
jedem Menschen angenommen wird. Das Fest ist die Unterbrechung des alltäglichen Lebens, denn,
Zitat Schleyermacher, in der Geschäftstätigkeit, also im Alltag, meint er, ist das Selbstbewusstsein
des Menschen zurückgedrängt. Der Freude am Herrn an sich entspricht aber das rein darstellende
Handeln, dessen allgemeiner Typus der Gottesdienst ist. Hier ist signifikanterweise im Zusammenhang
mit dem Gottesdienst nicht von Kultus oder vom Ritual die Rede, sondern zum ersten Mal
vom darstellenden Handeln. Und hier wird die Spur gelegt zu einer religionsphänomenologischen
Betrachtung und einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung des Gottesdienstes als einem dargestellten
und inszenierten Akt, in dem sich die Gemeinschaft ihres kollektiven Gedächtnisses versichert und an
die sie begründeten Heilsereignisse und Heilserzählungen anknüpft. Dabei ist der
Gottesdienst der Christen eingebunden in eine integrierte Festpraxis. Gegenüber punktuellen
Beteiligungsformen wie Konzertevents bietet Kirche vom Zentrum des Auferstehungsfestes her
einen Verbund unterschiedlicher Beteiligungsformen auf Zeit. Im ecclesiologischen Kontext gehört
jedes Festdatum zu einer Festzeit. Der Kirchenjahresfest Kreislauf hat ebenso einen Wegcharakter durch das
Jahr vom Advent bis zum Ewigkeitssonntag, wie jeder Gottesdienst in sich einen Weg skizziert
vom Menschen, der mit seinen Lasten vor Gott tritt, sie sich dort abnehmen lässt, sich Wegweisung
gefallen lässt, sich stärkt im Mahl und sich dann aufgerichtet in den Alltag zurücksenden lässt.
Der Gottesdienst ist weiter eingebunden in eine paradigmatische Festpraxis, das Fest als eine
Abhebung vom Alltag, ebenso wie ein Spiegel des Alltags, gefeiert wird das Reich Gottes, das im
Alltag Gestalt gewinnen möge. Insofern ist der Gottesdienst als Fest im theologischen Charakter,
Presenters
Prof. Dr. Johanna Haberer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:29:02 Min
Aufnahmedatum
2010-11-17
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:30
Sprache
de-DE